Karten und Fotos


Sonnabend 09.07.2005 - Tag 2

Gerade sind wir in Narbonne angekommen. Während Jacques sich mit dem Shuttle-Bus zum Abladen bringen lässt, bleibe ich mit dem Gepäck im Warteraum des Bahnhofs. Das Wetter ist wunderbar: strahlender Sonnenschein und Postkartenblauer Himmel! Das einzige, was unsere Laune heute morgen ein wenig getrübt hat, war das Frühstück: anstelle leckerer, französischer Baguettes mit Butter, Konfitüre und Foie Gras gab es breiweiche Fertig-Sandwiches aus der Tüte. Vermutlich sind sie billiger und sparen einigen Reinigungsaufwand, weil sie nicht krümeln - aber das herzliche “willkommen in Frankreich,” das so ein knuspriges Baguette zu Beginn des ersten Urlaubstages verkündet, ist damit ersatzlos gestrichen. Die Pfennigfuchser, die diese Einsparung beschlossen haben, soll der Blitz erschlagen!

Wir sind gut in Le Grau d’Agde angekommen, haben alles ausgepackt, und werden gleich einkaufen gehen. Paul und Pierette waren etwas überrascht von unserem Eintreffen. Sie hatten uns erst zu morgen erwartet, und so stand im Wohnzimmer noch Pierettes Nähmaschine auf dem Tisch. Tant pis!

Am Himmel ziehen inzwischen immer mehr Wolken auf, und es wird ziemlich windig. Das könnte heute noch ein Gewitter geben.

Wir sitzen an der Strandpromenade, trinken unseren ersten Café au Lait, und aus der Einkaufstasche breche ich mir mein erstes Stück echtes, französisches Baguette ab. Mmh, kein Vergleich zu dem Zeugs, das man in Deutschland unter dem Namen “Baguette” bekommt - jetzt bin ich in Frankreich!

Wir faulenzen gemeinsam in der Stube, sehen fern, und hören uns ganz nebenbei wieder in die französische Sprache rein.

Vorhin, auf dem Heimweg vom Café, hatten wir noch einen kleinen Abstecher zum Leuchtturm an der Hafeneinfahrt gemacht. Dort kann man sich zum Beispiel auf die Mauer setzen, frisches Baguette mit Pur Porc futtern, und den Blick auf das Meer genießen. Man kann aber auch angeln. So standen dort etliche Jungen und Männer allen Alters, um ihre Köder zu baden. Drei dieser Helden bauten sich direkt vor uns auf, warfen ihre Angeln aus, und - oh Wunder! - bei einem ruckte es beinahe sofort an der Leine. Sein Fang ließ sich ohne nennenswerte Gegenwehr aus dem Wasser ziehen und stellte sich als Tintenfisch heraus. Der hing nur wehrlos am Haken und zappelte kläglich mit seinen kurzen Fangarmen herum. Etliche Jungen sammelten sich um den glücklichen Angler und bestaunten den armen, seinem Element entrissenen Meeresbewohner. Nun hätte wohl jeder vernünftige Mensch seine Beute in einen bereitstehenden Eimer gesetzt und vom Haken befreit. Nicht so unser heldenhafter Rentner. Der hatte offenbar gar nicht damit gerechnet, überhaupt etwas zu fangen, denn er hatte überhaupt kein Gefäß für Fische dabei. Unschlüssig drehte er das arme Tier hin und her, und kam dann schließlich auf die glorreiche Idee, es hinter dem Kopf zu packen und es waagerecht auf seinem Unterarm zu legen - was vom Tintenfisch natürlich mit einer satten Ladung Tinte quittiert wurde. Der Angler und etliche Umstehende wurden mit einer schwarzbraunen Sauce dekoriert und sprangen erschrocken auseinander.

Nun, wenn ein echter Mann schon mal ordentlich von oben bis unten eingesaut ist, und wenn es eh nicht mehr viel schlimmer kommen kann, dann sollte man doch eigentlich meinen, dass es ihm jetzt auf ein paar weitere Kleckse auch nicht mehr ankommt, oder? Fehlanzeige, dieser Kerl entpuppte sich als Zimperlieschen! Er hielt den Tintenfisch mit weit ausgestrecktem Arm von sich weg, legte ihn auf den Boden, und versuchte voller Ekel, seine vollgespritzte Armbanduhr mit spitzen Fingern abzunehmen. Meine Güte! Äußerst amüsiert, aber auch leicht besorgt um unsere eigenen Klamotten, verließen wir eilig den Ort des Geschehens.

Vierzig Minuten von Le Grau bis nach Agde, vierzig Minuten zurück, und 6482 Impulse auf meinem Schrittzähler - ich bin fertig. Und hungrig! Aber ich will ja nachverbrennen, und deshalb gibt es die nächsten zwei Stunden nur Wasser. Eigentlich wollteich ja gar nicht mehr los. Der Himmel warvon einer bleigrauen Wolkendecke überogen, es nieselte, und die kräftigen Windböen verhießen nichts gutes. So stand ich maulend in meinen Sportsachen auf der Terrasse und wollte gerade meinen Rückzug auf’s Sofa antreten. “Weichei!” stichelte mein guter Göttergatte, und so zog ich mir noch einen Pulli über, steckte Telefon, Mp3-Player und Schlüssel ein, und begab mich mit meinen Teleskopstöcken und in Begleitung von José Louis Guerra auf die Piste. Auf unebenem Boden scheppern die Stöcke ein wenig, weit sie aus Metall sind, und ein Paar Sporthandschuhe hätte ich besser mitbringen sollen - aber abgesehen davon war es eine feine Tour.